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Die Universität im Nationalsozialismus

Göttingen gehörte zu Beginn der Dreißiger Jahre zu den mittelgroßen Universitäten mit einem Lehrkörper von 238 Personen und ca. 3000 Studenten. Die Georgia Augusta galt als „Arbeitsuniversität“ – die wissenschaftlichen Ansprüche waren hoch – und zugleich als sozial elitär, sie war beliebt bei den sogenannten gehobenen Schichten. In den zwanziger Jahren war die überwiegende Mehrheit der Göttinger Professoren deutschnational-konservativ – und das hieß immer auch antisemitisch – gesinnt. In der deutschen Studentenschaft hatte sich gegen Ende der Weimarer Republik die politische Rechtsentwicklung zunehmend verstärkt, getragen vor allem von den studentischen Verbindungen. Sie erreichten 1932/33 den Höhepunkt ihrer organisatorischen Entwicklung, als reichsweit etwa 80 Prozent der männlichen Studenten einer Korporation angehörten, davon über 50 Prozent schlagenden Verbindungen. Geprägt von Antirationalismus, Frontsoldatenmythos, Volksgemeinschaftsideen, Antisemitismus und Opposition gegen das „System von Weimar“ bestand bei ihnen eine große ideologische Nähe zum Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, der 1931 an der Georgia Augusta die Mehrheit in der studentischen Vertretung errang. Obwohl es auch in Göttingen politisch linksstehende Dozenten und Studentengruppen gegeben hat (Leonhard Nelson, Hannah Vogt) kam es 1933 und später nur ganz vereinzelt zu nennenswertem Widerstand gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung. Zu nennen sind hier die Dozenten Heinrich Düker, Gottfried Ewald und Heinrich Straub, aber auch Anhänger der Bekennenden Kirche unter den Theologiestudenten, die sich gegen die Abwertung des Alten Testaments wandten.

Im Zuge der Gleichschaltung wurde auch an den Universitäten das Führerprinzip eingeführt, das den Rektor zum weisungsbefugten „Führer“ der Hochschule machte. Erster Rektor mit diesen neuen Befugnissen war Friedrich Neumann, der das Amt zum Mai 1933 übernahm und zeitgleich der NSDAP beitrat. Neumann eignete sich in den Augen der neuen Machthaber deshalb besonders für diese Aufgabe, weil er sowohl für sie wie für die Mehrheit seiner konservativ-nationalen Professorenkollegen tragbar war. Während seiner Amtszeit (bis 1938 als Rektor, anschließend bis 1943 als Prorektor) betrieb Neumann die national-sozialistische Gleichschaltung und Ausrichtung der Universität ohne erkennbare Bedenken, folgerichtig und mit Nachdruck.

Symbolhaft für die nahezu widerstandslose Unterwerfung unter die NS-Herrschaft kann die reibungslose Durchführung der personalpolitischen Säuberungen aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 gelten, in deren Verlauf 45 Dozenten der Georgia Augusta entlassen wurden. Unter den Opfern waren so bedeutende Wissenschaftler wie Max Born, Richard Courant, Emmy Noether, Herman Nohl, Nikolaus Pevsner, Wolfgang Stechow und Gerhard Leibholz. Von diesem Aderlass hat sich die Georgia Augusta über viele Jahre nicht erholen können.

In einer weiteren Steigerung der Ausgrenzung und Demütigung erkannten die Nationalsozialisten ihren Gegnern und Opfern die akademischen Grade ab. In Göttingen sind zwischen dem WS 1935/36 und dem WS 1944/45 insgesamt 72 solcher Aberkennungen bekannt, wobei die Titel in 27 Fällen aufgrund von Strafurteilen wegen der verschiedensten „Vergehen“ (Hochverrat, Rassenschande, Abtreibung, Devisenvergehen) und in 45 Fällen aufgrund von Ausbürgerungen entzogen wurden. Unter den Betroffenen befanden sich weltbekannte Persönlichkeiten wie Max Born und Ludwig Quidde, die aber in der Regel unter dieser Schikane weniger zu leiden hatten als die vielen anderen, weniger prominenten Opfer.

(Thieler, Kerstin: "[...] des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig." Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im "Dritten Reich" (Göttinger Bibliotheksschriften 32), Göttingen, 2004; Dahms, Hans Joachim: Die Universität Göttingen 1918. Vom „Goldenen Zeitalter“ der Zwanziger Jahre bis zur „Verwaltung des Mangels“ in der Gegenwart, in: Rudolf von Thadden, Günter J. Trittel (Hg.): Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt Bd. 3: Von der preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt 1866-1989, S. 395-456, hier: 410ff)